Im Beitrag werden zwei filmische Positionen zusammengeführt. In beiden finden sich Inszenierungen von Gemeinschaft und Prekarisierungen als ästhetische Aushandlungen einer Politisierung der Filmform. Während der schwedische Film Folkbildningsterror (2014) politische Zustände im Musical zur Disposition stellt, untersucht der US-amerikanische Thriller The Owls (2010) die Konsequenzen homophober Entwürfe lesbischer Figuren im Film, die bis in die aktuelle Filmgeschichte reichen.
Schlagwörter: Aktivismus; Gemeinschaft; Musical; lesbische Filmgeschichte; Affekt
Ich werde in diesem Artikel zwei Filme in Beziehung setzen. Dabei handelt es sich um das schwedische Musical Folkbildningsterror und um den Film The Owls, der dokumentarische Elemente mit Thriller-Elementen verbindet.1 Über die Analyse der Inszenierung von queerer Gemeinschaft in den beiden Filmen möchte ich mich ihrer Verhandlung von Prekarität im queeren Kino nähern. Beide Filme verbinden ihre Positionen zu Prekarität und Gemeinschaft mit Überlegungen zur Wirkmächtigkeit des Mediums. Sie setzen sich mit Gemeinschaft im Medium Film auseinander und betonen dabei – unabhängig von der filmischen Inszenierung – auch die Gemeinschaft in der Produktion des Films. So entsteht Folkbildningsterror (Volksbildungsterror) unter der Regie von Lasse Långström und Göteburgs Förenade Musikalaktivister, also Göteburgs führenden Musicalaktivist*innen, und The Owls unter der Regie von Cheryl Dunye, aber auch vom Parliament Collective. Ein »Parliament« bezeichnet dabei nicht nur ein politisches Parlament, sondern auch eine Gruppe/Ansammlung von Eulen und hat damit einen doppelten Bezug zum Titel des Films, den OWLs, den »Older Wiser Lesbians«.
Das Medium Film ist in beiden Projekten eine machtvolle Struktur, in der Bedeutungen angelegt und produktiv sind. Beide Kollektive begreifen Film dabei auch als eine Form von Aktivismus. Sie stellen die Frage, was eine Gemeinschaft im queeren Kino heute sein und wie Film auf Prekarisierungen reagieren kann. Dies reflektieren sie sowohl in Bezug auf eine aktuelle außerfilmische Realität, in der die Filme entstehen, als auch im Hinblick auf eine Filmgeschichte. In meiner Lektüre der beiden Filme wird deutlich, dass queere Filme Prekarisierungen sowohl auf Produktionsebene, als auch in Bezug auf Ästhetiken, Filmstrukturen, Narrative oder Genres adressieren können.
Davon abgesehen, dass beide Filme die Frage der Gemeinschaft in der Filmproduktion stark machen, beschreiben sie zwei gegenläufige Bewegungen in Bezug auf die Inszenierung von Gemeinschaft. Dabei geht es im schwedischen Musical um die Hoffnung auf die Möglichkeit, Gewaltverhältnisse kollektiv zu verändern, während im US-amerikanischen Thriller kollektive Entwürfe von Filmfiguren als Prekarisierungen der Filmgeschichte lesbar werden.
Der schwedische Film Folkbildningsterror bezieht sich explizit auf eine außerfilmische Realität: Die sich verändernde politische Situation in Schweden. Dort regiert zur Zeit des Filmdrehs ein konservatives Bündnis. Der Film entsteht in einem aktivistischen Kontext queerer, feministischer Gruppen in Göteborg. Ihre Auseinandersetzungen und politischen Forderungen sind Teil des Films, in ihm werden die Aktivist*innen selbst zu den Protagonist*innen. Ihre aktivistischen Praxen übertragen sie in lustvolle, märchenhafte und konkrete Szenarien, in eine filmische Form.
Unter anderem interessiert mich an dem Film die Verhandlung der Idee von Bündnispolitiken, die verschiedene Formen von Prekarisierung, im Sinne einer von Volker Woltersdorff gekennzeichneten hergestellten Verletzlichmachung,2 in gesellschaftspolitischen historisch situierten Kontexten, zusammenbringen können. Solche Verletzlichmachungen zeigen sich gewaltvoll zum Beispiel über Strukturen von Rassismus, Sexismus, Homophobie, Klassismus oder Ableismus. Medial werden nun Bündnispolitiken gegen diese Gewalt zum Zentrum des Films. Atlanta Ina Beyer hat es als die Stärke von Folkbildningsterror beschrieben, dass er Klassenpolitiken erweitert und somit die Notwendigkeit queerer Bündnispolitiken filmisch erfahrbar machen kann.3
Folkbildningsterror beginnt mit einer Stimme und einem Schwarzbild. Die Stimme erzählt uns von einer gesundheitlich prekären Situation. Erst nach einiger Zeit sehen wir ein Bild von der Person, die von ihrer Lebenssituation spricht. Später im Film werden wir das gleiche Bild auf dem Laptop von Theo, dem Protagonisten des Films, wiedersehen. Theo hat ein Interview mit seiner Mutter aufgezeichnet, weil sie vom Staat gezwungen wird zu arbeiten, obschon sie chronisch erkrankt ist und die Arbeit ihre Situation verschlimmert. Theo fürchtet, dass der Staat seine Mutter auf diese Weise umbringen wird. Der begonnene Film-im-Film soll hier als Dokument ihrer Situation dienen. Er soll ein Beweis für eine grausame Situation sein. Im Fall, dass Theos Mutter etwas passiert, soll der Film zudem gegen den Staat aussagen. Die Mutter ist im Bild zentriert und aus einer konkreten Situation herausgenommen. Sie referiert ihre aktuelle Situation, und Theos Film-im-Film verweist damit auf einen Wunsch, über bezeugendes Sprechen im Film eine soziale außerfilmische Realität begreifbar und möglicherweise auch veränderbar zu machen. Im dokumentarischen Festhalten der Situation der Mutter wird das Interview ein Instrument, an das der Wunsch gebunden ist, über das bezeugende Sprechen Recht herzustellen. Folkbildningsterror verweist mit der dokumentarisch anmutenden Anfangssequenz auf diesen Wunsch, setzt selbst aber auf eine sehr andere filmische Form.
Im Film wird Theo, der Regisseur der kurzen Anfangssequenz, auf eine aktivistische Musicalreise geschickt. Theo fürchtet sich vor der Abhängigkeit und Angewiesenheit auf staatliche Unterstützung, er hat keinen Job und Angst davor, Arbeitslosengeld zu beantragen und damit dem staatlichen Zugriff ausgeliefert zu sein. Er will sich vor Zuschreibungen, Kontrolle und Reglementierungen schützen. Er hat Angst, normativer Gewalt durch staatliche Institutionen ausgeliefert zu sein, von ihnen ökonomisch und gesundheitlich abhängig zu sein und objektiviert zu werden. Ausgeliefert fühlt er sich zum Beispiel in Bezug auf medizinisch/psychiatrische Institutionen, da er über die Einnahme von Hormonen nachdenkt. Ihm graut so sehr vor den Blicken und Geschlechtszuweisungen der Ärzt*innen, dass er aus Alpträumen vor ihnen aufschrickt. Theo macht sich zunächst alleine und ohne große Hoffnungen auf den Weg, sich und seine Mutter aus der unerträglichen Situation zu befreien, bzw. macht er sich erst einmal auf den Weg zur Arbeitsvermittlung. Diese bietet keine Hilfe, sondern überfordert mit einem Stapel auszufüllender Formulare. Die Suche nach einer Lösung führt – in Bezug auf staatliche Hilfe – zu Überforderung und Enttäuschung.
Auf dem Weg in die Stadt ist zeitgleich eine zweite Protagonistin: Cleopatra. Als Theo und sie auf ihren Wegen zusammenstoßen, beginnt ihr gemeinsames Abenteuer. Im Laufe des Films treffen sie auf immer mehr Unterstützer*innen und werden Teil einer queeren Stadtguerilla. Den durchgehend thematisierten Prekarisierungen vor dem Hintergrund eines Gefühls, staatlichen Eingriffen und Regulierungspraxen ausgeliefert zu sein, setzt der Film Musicalnummern und den Entwurf eines widerständigen Kollektivs entgegen. Ein Bündnis also, das sich immer wieder – trotz unterschiedlicher Anliegen – für Momente synchronisiert. Filmemachen wird hier zum Aktivismus, der auf ganz konkrete Ungleichheitsverhältnisse und Ungerechtigkeiten außerhalb des Films reagiert. Viele der Musicalnummern, die Teil des Films sind, finden an öffentlichen Orten, auf der Straße und auf Plätzen statt. Damit ist es auch das öffentliche Leben, das angesprochen und transformiert werden soll. Es entsteht kein zusätzlicher utopischer Raum, die Veränderungen finden für alle sichtbar im geteilten Raum statt.
Nach einem Streit, in dem Theo verzweifelt über die Ausweglosigkeit der Situation ist, sehen wir ihn, als die Musik schon einsetzt, in einer halbnahen Einstellung, gesondert von den anderen. Er wird über die Musik in die Choreografie der anderen mit- und hochgerissen. Die Choreografie setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, am Anfang ist sie sehr stark auf die Kamera hin ausgerichtet bzw. auf ein Kinopublikum. Sie geht dann in eine Demonstration über, die auf der Straße in Göteborg stattfindet. Damit wird die Choreografie schon Teil von öffentlichem Protest, sie wird zu einer Form politischer Artikulation (s. Abb. 1–6).
Richard Dyer setzt Musicalnummern in Bezug zu (außer- wie inner-) filmischen kapitalistischen Ordnungen und den in ihnen produzierten gewaltvollen Ungleichheiten.4 Mit Dyer könnten sich die Musicalelemente als Verweis darauf verstehen lassen, dass eine außerfilmische Realität anders sein könnte. Ihn interessiert diese Möglichkeit als ein Effekt der Rezeption, der aber in der Struktur des Films angelegt ist. Das heißt, dass in den Filmen bereits eine Affektstruktur angelegt ist, die sich in einer außerfilmischen Wirklichkeit entfalten kann. Er findet unterschiedliche Bezüge von Rahmenhandlung zu Musicalnummern und analysiert das Zusammenspiel in Bezug auf das Potential von Film, Veränderungen denkbar zu machen. Dyer bezieht sich dabei auf klassische Hollywood-Musicals (Gold Diggers of 1933, Funny Face und On the Town).5 Den Musiknummern spricht er eine besondere Wirkmächtigkeit zu, weil sie die Zeitordnung der Narration des Films aussetzen und damit auch aufbrechen. Dyer macht ein Moment der affektiven Bindung stark, in dem das Gefühl entstehen kann, dass etwas anders sein könnte. Dyer betont, dass die Filme in patriarchalen kapitalistischen Strukturen hervorgebracht werden, in ihnen entstehen und nicht außerhalb. Sie beziehen ihre Wirkung damit aus einer außerfilmischen gesellschaftspolitischen Situation. Damit ist auch das, was sie als Ersatz und Phantasie anbieten, in dieser außerfilmischen Wirklichkeit strukturiert.
Über die Struktur der Musicalnummern wird dieses Verhältnis spürbar. Die starre lineare Zeitordnung mit ihrer teleologischen Ausrichtung ist aufgehoben, andere Zeichen werden wichtig, Rhythmus, Musik und Bewegung öffnen die zeitlichen Teleologien. Die Erfahrung der Filmrezeption wird also an die Idee einer Veränderbarkeit außerfilmischer gesellschaftlicher Zustände gebunden, aber sie ist gleichzeitig nicht unabhängig von diesen: Sie entsteht in ihnen. Dabei ist nicht die konkrete Veränderung selbst der Gegenstand von Dyers Theorie zum Musical. Ihn interessieren das Aufscheinen der Möglichkeit und die Frage danach, wie dies an die filmische Form gebunden ist. Die Filme, die er dabei für seine Analyse heranzieht, thematisieren Fragen nach Veränderung nicht unbedingt auf einer narrativen Ebene. Immer aber brechen die Musicalnummern eine lineare Narration auf und öffnen einen alternativen Raum.
Musik spielt dabei eine zentrale Rolle und Dyer argumentiert mit Susanne K. Langer, dass Musik in den Filmen ein zu entschlüsselndes Zeichensystem ist, das eng an Emotionen gebunden ist. Während Langer, so Dyer, davon ausgehe, dass diese Emotionen selbst nicht kodiert sind, macht Dyer den wichtigen Hinweis, dass eben genau diese emotionale Reaktion auch bereits kodiert ist: »I would be inclined, however, to see as much coding in the emotions as in the signs itself.«6 Damit stellt Dyer nicht nur die Frage nach der Beziehung von Zeichen und Affekt bzw. Emotion, sondern auch die Frage nach der Funktion und Kodierung der Emotionen in Filmen selbst. Auch Emotionen sind damit hier in Bezug auf Film historisch bedeutungsvoll, in gesellschaftspolitischen Kontexten zu erlernen.
An Dyers Hinweis auf Kodierung der Emotionen in Bezug auf Film lässt sich Kara Keelings Frage nach der aufgewandten Arbeit in Bezug auf ein affektives Erleben von Film anschließen.7 Sie schreibt: »Most commonly, we talk about affect as a feeling or an emotion, but it is important to think about affect also as the embodied mental activity required to make sense of the world.«8 Keeling beschreibt das affektive Erleben von Film mit Marcia Landy als eine Form der Arbeit in normativen kapitalistischen Ordnungen und verweist nicht auf ein utopisches Moment, aber auf die Anwesenheit einer unmöglichen Möglichkeit (impossible possibility). Ein emotionales Erleben von Film(-geschichte) kann mit Keeling als Effekt einer Erarbeitung affektiven Erlebens und daran gebundener Bedeutungsproduktion befragt werden. Auch bei ihr wird also Affekt und Filmrezeption bereits in kapitalistischen Ordnungen hervorgebracht und kann so Gegenstand von Analysen werden. Bei Dyer steht die Frage im Raum, ob die Emotionen nicht bereits kodiert sind, Keeling weist auf Affekt als Arbeit hin. Dies wird auch im Folgenden interessant sein, da beide von mir untersuchten Filme mit Affekt arbeiten. Folkbildningsterror gibt Hoffnung einen Raum und zeigt, als Musical, was filmischer Aktivismus sein könnte, der auf Gemeinschaft setzt und sich gegen Prekarisierungen wendet. The Owls dagegen fokussiert auf ein affektives Erbe in der Filmgeschichte, macht dies ästhetisch erfahrbar und stellt von dort aus Fragen nach Gemeinschaft und Hoffnung auf Veränderung im Medium.
Folkbildningsterror probiert sehr unterschiedliche Formen der affektiven Ansprache im Modus des Filmischen aus und vereint mehrere Musikstile und Phantasien in den Musicalnummern. Dabei bilden sich temporäre tanzende Kollektive als Reaktionen auf und Formationen zu sehr unterschiedlichen Prekarisierungen. Es gibt Choreografien, die auf transphobe Kategorisierungen in medizinischen Apparaten reagieren, Choreografien gegen neoliberale Arbeitsbedingungen oder für ein Recht auf einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Folkbildningsterror ist ein Entwurf dafür, über die filmische Form Ideen für Veränderung zu erschaffen und Aktivismus in eine filmische Form zu übersetzen, affektiv als eine Form gemeinsamer Hoffnung erfahrbar zu machen. Der Film benutzt die Musicalelemente aktivistisch und stellt in märchenhafter Weise und in Anlehnung auch an eine Geschichte des queeren Films Forderungen an die schwedische Gesellschaft. Dies führt die Narration bis hin zu einer Inszenierung des bewaffneten Widerstands, bei dem Theo tödlich verletzt wird. Im Film aber bringen die Küsse des Paares, von dem er sich angezogen fühlt, Theo zurück ins Leben. Er wird also nicht vom System geheilt, sondern hier durch die Küsse der anderen gerettet.
In Folkbildningsterror wird Theos Mutter von ihrer Arbeitspflicht entlastet, den Tieren im Zoo die Freiheit geschenkt, Fahrkartenkontrolleur*innen werden der Bahn verwiesen, Hormonpräparate für Theo frei zugänglich gemacht, gegen Abschiebung mobilisiert. In den Musicalnummern zeigt der Film: So soll es möglich sein. Die Figuren des Films diskutieren über Geschlechtszuweisungen, Kapitalismuskritik, Migrationspolitik, Veganismus, die Rettung des schwedischen Wohlfahrtstaats.
Die Mitglieder des Kollektivs vor und hinter der Kamera wenden sich dezidiert gegen politische und soziale Formen der Prekarisierung. Mit dem Film thematisieren sie staatliche Prekarisierung, nicht so sehr durch die Inszenierung dieser Prekaritäten, sondern in der Suche nach einer möglichen Antwort darauf. Der Film ist eine Form aktivistischer Artikulation mit filmischen Mitteln: Die humorvolle, lustvolle Inszenierung aktivistischer Aktionen und ihre Einbettung als Musicalnummern sind mediale Ausformungen, die dem Wunsch nach Veränderung entsprechen. Der Film gehört formal zu denjenigen, denen Dyer das größte transformierende Potential zuschreibt.9 Sowohl in den narrativen Elementen als auch in den Musicalnummern arbeitet der Film an dem Entwurf einer Veränderung. Musicalnummern und Narration sind nicht vollständig voneinander getrennt, sie unterstützen sich gegenseitig. Auch in der Rahmenhandlung des Films zieht das Kollektiv los, um die Missstände zu verändern. Gleichzeitig ist der Vorschlag einer Antwort, die Folkbildningsterror als Reaktion auf staatliche Formen von Gewalt findet, die Inszenierung eines bewaffneten Kampfes aus dem Untergrund, eine Art von Revenge-Narrativ.
Der Film entsteht als kollektives Projekt und verstärkt dieses Kollektiv in der Inszenierung noch einmal. Der Wunsch nach Veränderung einer gesellschaftlichen Situation findet sich in der filmischen Form der Musicalnummern, aber auch in der Spielfilmhandlung wieder. Dass es anders sein könnte, entspricht im Film – in Bezug auf die Inszenierung von Kollektivität und Bündnispolitiken – vielleicht auch die Idee, dass da Andere sein könnten. Andere, die in Bezug auf ein Prekärsein und vor dem Hintergrund der Sichtbarkeit divergierender Bedingungen von Prekarisierungen mit der eigenen Angewiesenheit besser umgehen könnten, als es die staatlichen Institutionen können. Das Kollektiv besteht aus jungen Menschen, ist vom Do It Yourself-Gedanken und einer Camp-Ästhetik geprägt. Der Film ist mit geringem Budget und über einen Zeitraum von mehreren Jahren entstanden. Folkbildningsterror ist wie eine Anleitung zu Aktivismus und Protest, liefert Analysen schwedischer Politik ebenso wie Einführungen in poststrukturalistische Theorien.
Folkbildningsterror formuliert eine mediale Antwort auf staatliche Prekarisierungen, die u. a. mit medizinischen, ökonomischen, rechtlichen Reglementierungen einhergehen, und eine Kritik an realen politischen Verhältnissen. Die Aktivist*innen nutzen das Medium Film, um in diesen Verhältnissen zu intervenieren. Die Artikulation und Inszenierung verschiedener Positionierungen und Ansprüche im Musical führt zu lust- wie hoffnungsvollen Entwürfen von Bündnispolitiken. Der Film ist – anders als die Musicals, die Dyer für seine Analyse heranzieht – nicht von den ökonomischen Bedingungen der Filmindustrie bestimmt. Auch in der Distribution sind es vor allem aktivistische Orte, akademische Veranstaltungen (z. B. der Queer Studies), queer-feministische Kontexte, in denen er zur Aufführung kommt und rezipiert wird. Die Filmemacher*innen greifen auf Filmgeschichte zurück, um sie mit eigenen Mitteln umzuschreiben, sich selbst einzuschreiben, selbst Protagonist*innen zu werden. Die Wahl des Musicals als Genre ermöglicht, gewaltvolle Erfahrungen nicht zu reproduzieren, sondern andere Welten in Bezug auf die gegebenen Gewaltverhältnisse zu entwerfen.
Nachdem Theo gerettet und der Kampf beendet ist und die Aktivist*innen aus ihren Verstecken kriechen, scheint der Film ein Ende zu finden. Die Gespräche handeln von möglichen Zukünften und weiteren Plänen, aber die gemeinsamen Aktionen finden ein Ende. Dann aber bricht der Film mit dieser Erwartung und schließt mit einer letzten Musicalnummer: Donnernd und bedrohlich nähert sich den Protagonist*innen eine Gruppe von Zombies (s. Abb. 7). Die Feminist*innen tauchen auf und erinnern an ihre Kämpfe und daran, dass die Entscheidungen des Films wie etwa die, das Kollektiv in einen bewaffneten Widerstand ziehen zu lassen, nicht umfassend bei allen Personen im Kollektiv Zustimmung fanden. Sie verweisen auch darauf, dass es nicht die eine Antwort auf strukturelle Gewalterfahrung gibt, nicht die eine Theorie, nicht den einen Weg, sondern weiter Dissens und Auseinandersetzung bestehen. Und sie weisen darauf hin, dass etwas spukt, dass etwas anderes noch da ist und sich weiter in der Geschichte einschreibt. Sie widersprechen einigen Entscheidungen, die das Kollektiv getroffen hat. Die Untoten sind die feministischen Aktivist*innen, sie werden als Untote, als Zombies einer Vergangenheit zugeordnet und fordern hier am Ende des Films Gehör ein, sie sind immer noch da.
Diese Performance der feministischen Zombies erinnert auch an das Konzept des temporal drag, das Elizabeth Freeman spezifisch für lesbisch feministische Figuren am Beispiel von Film und Fotografie und den ihnen eigenen medialen und vergeschlechtlichten Zeitlichkeiten beschreibt.10 Drag ist hier sowohl eine Last, die zurückzieht, ein Paket, das zu tragen ist, als auch eine Form der Inszenierung von Geschlecht über Kleidung. Freeman interessiert diese Verbindung des Begriffs in Bezug auf lesbisch feministische Figuren. Sie sind in den Arbeiten, die sie sich anschaut, von dem Potential, auf eine Zukunft zu verweisen, abgeschnitten. Sie verkomplizieren Narrative und Historiografien. Sie verweisen auch auf eine andere Zeitlichkeit als die linear fortschreitende Zeit. Sie sind als Figuren an zyklische Zeitlichkeiten gebunden, die mit Weiblichkeit assoziiert sind, an Reproduktion. Freeman zeigt, wie die Figuren der von ihr analysierten Beispiele (unter anderem eine Fotografie aus Sharon Hayes Arbeit In the Near Future und Elisabeth Subrins Film Shulie)11 mediale Fortschrittsgeschichten stören und Erzählungen von Generationen sowie Verweise auf mögliche Zukünfte über diese zyklischen Zeitkonzepte verkomplizieren bzw. verweigern. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die feministischen Zombies als eine solche Störung lesen. Eine Auseinandersetzung mit ähnlichen zeitlichen Störungen im Medium, mit spukenden Figuren, findet sich noch deutlicher im Film The Owls.
Vor dem Hintergrund der sehr positiv ausgelegten filmischen Gemeinschaft, die Folkbildningsterror zeichnet, ist es aufschlussreich, die Position eines zweiten Films, The Owls, in den Blick zu nehmen, der ebenfalls mit der Idee des Kollektivs befasst ist. Am Ende von Folkbildningsterror sind wir als Zuschauer*innen mit den Mahnungen der Untoten konfrontiert. Auch in The Owls sind es Tote, die die Protagonist*innen des Films durch die Geschichte hindurch jagen. Das Filmteam setzt sich, wie auch das kollektive Projekt, über den Film hinaus mit queerer, mehr noch lesbisch-feministischer Filmgeschichte auseinander.
Aber anders als im schwedischen Musical gibt es in diesem Film keine positive Inszenierung eines Kollektivkörpers, stattdessen werden in den Spielfilm-Momenten mögliche Bündnisse verworfen. Während Folkbildningsterror die Tradition der »Talking Heads« mit Theos Aufzeichnung seiner Mutter an den Anfang des Films setzt und diese dokumentarische Tradition im Anschluss selbst verwirft, macht The Owls eine andere Bewegung in der filmischen Aushandlung von Gemeinschaft. Hier geht es um die Frage nach den Entwürfen lesbischer Figuren in der Filmgeschichte, um deren gemeinsame filmische Vergangenheit und ihre Effekte bis heute.
Mit einem Ausschnitt aus dem Video Femme Bitch Top von Tribe 8 beginnt auch dieser Film mit Musik.12 Es folgt eine Collage von Demonstrationen. Sie vereint sehr unterschiedliche Kämpfe, Take Back the Night-Demos und ACT UP-Aktionen sind unter anderem zu sehen, öffentliche Bündnisse gegen sexistische und homophobe Strukturen. Auf der Audio-Ebene ist der Song New Kicks von Le Tigre zu hören, der das Material verbindet. Der Text von New Kicks ist ein Sample von Anti-Kriegs-Reden, u. a. der Schauspielerin und Aktivistin Susan Sarandon. Auch hier werden also Musik und Aktivismus medial verbunden. Das Intro endet mit dem Bild einer Fahne, die die Regenbogenfahne mit der US-amerikanischen Nationalfahne verbindet. Man könnte diese Einstellung, die den Vorspann beendet und eine eindeutige Zäsur darstellt, als einen Hinweis auf Homonationalismus lesen, mit dem nun der Film beginnt. Die Proteste, genauso wie die lesbisch-feministische Punkband, werden ausgeblendet, sie sind lediglich Teil einer Vorgeschichte. Trotzdem wird schon in diesem kurzen Intro eine Geschichte gemeinschaftlicher Kämpfe aufgegriffen und scheinbar an eine Form teleologischer Narrativierung von queerer Bewegungsgeschichte angeschlossen, die Stonewall an ihren Anfang stellt und fortan von positiven Veränderungen zu erzählen weiß.
Von diesem Intro gelangen wir zu den ersten Protagonist*innen des Films, die aus zwei Generationen bestehen: zu Criquet aus der jüngeren Generation und Iris, die zu der älteren Generation gehört. In kurzen Interviewsequenzen, in denen die beiden in ihren Rollen sprechen, hören wir von der Nacht, in der Criquet verschwand und, wie wir später erfahren, in der sie ermordet wurde. Mit Iris landen wir daraufhin auf den Straßen von Los Angeles, die nun nicht mehr von Protesten erzählen, sondern durch Konsum gekennzeichnet sind und zugleich verwaist bzw. unbelebt scheinen. Als erstes sind Werbeflächen und ein Laden zu sehen, Guinevere Turner als Iris macht am Telefon Geschäfte. Offensichtlich ist ihr das Geld ausgegangen. Mit ihr stoßen wir auf die Vermisstenanzeige für Criquet an der Ladentür. Iris ist die erste der vier Protagonist*innen: Einer Gruppe von Frauen, die in der Vergangenheit des Films als Band große Erfolge gefeiert hat. In der Jetztzeit aber sind diese Frauen wie eingefroren, erstarrt. Sie leben in mondänen Häusern, ignorieren die Vergangenheit oder hängen ihr nostalgisch hinterher. Sie sind auf ihr Privatleben fixiert, an gemeinsamen politischen Kämpfen nicht interessiert. Auch die anderen Schauspieler*innen dieser Generation, V. S. Brodie, Cheryl Dunye und Lisa Gornick, haben eine Geschichte des queeren/lesbischen Kinos geprägt, sind Teil des New Queer Cinema und zum Beispiel aus Filmen wie The Watermelon Woman oder Go Fish bekannt.13
The Owls zeigt eine Geschichte der vehementen Enttäuschung einer kollektiven Erfahrung, die in einer Rezeptions- und Figurengeschichte des (US-amerikanischen) Spielfilms verortet ist. Die Figuren in der Geschichte sind voneinander isoliert, auch dann, wenn sie gemeinsam handeln müssen. Sie sind eine Zwangsgemeinschaft, keine positive Gemeinschaft. Der Mord an Criquet, den sie zu vertuschen versuchen, verbindet sie. Dabei sind wir als Zuschauer*innen auf eine andere Art adressiert als in Folkbildningsterror. Eine affektive Enttäuschung der Zuschauer*innen liegt in der Ablehnung der Möglichkeit der Identifikation mit den Figuren. Sie werden zu Oberflächen.
Damit sind sie auch in Bezug auf Dyers Analyse des Funktionierens dominanter Narrative in kapitalistischen Ordnungen interessant. Dyer schreibt:
Class, race and sexual caste are denied validity as problems by the dominant (bourgeois, white, male) ideology of society. We should not expect show business to be markedly different. However, there is one further turn of the screw, and that is that, with the exception perhaps of community (the most directly working-class in source), the ideals of entertainment imply wants that capitalism itself promises to meet. Thus abundance becomes consumerism, energy and intensity personal freedom and individualism, and transparency freedom of speech. […] The categories of the sensibility point to gaps or inadequacies in capitalism, but only those gaps or inadequacies that capitalism proposes itself to deal with. At our worse sense of it, entertainment provides alternatives to capitalism which will be provided by capitalism.14
Die Frauen in Dunyes Film bzw. im Film des Parliament Collectives sind nur noch Konsument*innen und haben am kapitalistisch bestimmten Leben teil. Sie sind überangepasste Antworten auf die Versprechen eines guten Lebens, die in kapitalistischen Ordnungen hervorgebracht werden. Die Wendung des Films ist, dass sie damit als Filmfiguren zu Enttäuschungen werden. Die Orte, an denen sie sich aufhalten, sind private Wohnungen bzw. Häuser und Gärten oder Einkaufsmöglichkeiten und ein Café. Die Beziehungen zueinander sind zerbrochen. Während Iris und MJ an der Bandgeschichte hängen und auf je unterschiedliche Art daran anschließen wollen, sind Carol und Lily mit ihrem Haus, dem Garten, ihrer sie langweilenden Beziehung und der Idee eines gemeinsamen Kindes beschäftigt. Nichts davon scheint sie wirklich zu interessieren.
Ihr Stillstand und ihre Isolation werden durch einen Generationenkonflikt noch verstärkt. Sie haben in einer gegenwärtigen Gesellschaft nichts mehr zu sagen, keine Funktion. Die Beziehungen, die sie hatten, sind kaputt, es geht darum, den Besitz aufzuteilen. Sie sind Konsument*innen geworden, eingepasst in ein kapitalistisches System.15 Und als Konsument*innen schreibt Dunye mit ihnen auch eine Filmgeschichte weiter. In The Owls sind die Figuren in die kapitalistische Struktur eingefügt und darin vollkommen aufgegangen. Sie sind, wie Guinevere Turner sagt, als »pretty hateable« (ziemlich hassenswert) entworfen. Und dies ist eine Gegenbewegung, die der Film in Bezug auf die Verortung der Zuschauer*innen vollzieht: Die Figuren sind eben nicht einfach konsumierbar. Damit fällt der Film selbst aus der kapitalistischen Verwertungslogik heraus, er bietet keine queeren Figuren, die normative Narrative füllen, die konsumierbar sind, er bietet eine Form von Kritik, die sich affektiv in den dargestellten Figuren zeigt. Sie können ein Unwohlsein erzeugen, weil sie eben nicht sympathisch sind, weil sie unfreundlich, unbefriedigt und auf sich selbst bezogen bleiben. Es ist interessant, sich in Bezug auf diese Figuren die Zeitstruktur des Films anzuschauen, auch im Verweis auf die Räume, in denen sie sich bewegen und im Rahmen der Filmgeschichte, in die sie eingebunden sind. Sie sind ein Erbe einer Geschichte lesbischen Kinos.
Im Begleitmaterial des Films taucht immer wieder der Hinweis auf die Geschichte lesbischer Figuren im Film auf. Die tragischen Frauenfiguren aus Filmen wie The Children’s Hour, The Killing of Sister George und The Fox werden als Referenz genommen.16 Wie der Geist von Criquet verfolgen diese Figuren die Protagonist*innen, sie aber finden sich in der Düsterheit des Films, in den Thriller-Elementen und der Unheimlichkeit der Inszenierung wieder. Die Untoten, die in Folkbildningsterror zum Ende des Films auftauchen und von dort die Erzählung hinterfragen, sind hier bereits in der Struktur des Films angelegt, in der Ästhetik der Inszenierung, der Mise en Scène, in der Narration und in der Montage. Sie sind hier das zentrale Element der Erzählung. Der prekäre Status liegt in einer Form der Erzählung und Verortung lesbischer Figuren im Film. Diese Inszenierung verhält sich auch zu einem häufig artikulierten identitätspolitischen Wunsch, nicht-heterosexuelle Filmfiguren sollten endlich in Mainstreamerzählungen vorkommen, ohne dass sie dabei den Status der Anderen einnehmen. Lisa Cholodenkos Film The Kids Are All Right aus dem gleichen Jahr,17 ist genau dieses Angekommensein in der Form der bürgerlichen Familiengeschichte attestiert worden. Elahe Haschemi Yekani hat beide Filme miteinander verglichen und gerade das Happy End von The Kids Are All Right im Kontext der Filmgeschichte, auf die The Owls verweist, als einen Moment der Veränderung zu bedenken gegeben.18 So ist die eine Seite dieses Happy Ends eben auch eine Veränderung der Tradition der tragischen Enden für lesbische Figuren im Film. Die andere Seite ist ihre Verortung innerhalb bürgerlicher, weißer, privilegierter Familienstrukturen.
The Owls beharrt auf der Anwesenheit der gewaltvollen Entwürfe queerer Figuren in der Filmgeschichte, deren Effekte auch in aktuellen Filmen weiterwirken. Das Kollektiv der Filmemacher*innen widerspricht so einem Überwindungsnarrativ. Die Figuren in der Spielfilmerzählung, die ohne positive Zuschreibungen entworfen wurden, zeigen auch eine Verweigerung der normativen affektiven kapitalistischen Strukturen an. Der Film verwehrt einen schmerzfreien Übergang der Figuren in heteronormative Narrative. Auch The Owls stoppt immer wieder die Narration, aber nicht über Musicalelemente. Wie in weiteren Filmen Dunyes wird die Spielfilmebene durch das räumlich aus der Narration herausgenommene direkte Sprechen in die Kamera durchbrochen. Dieser Umgang mit Interviewsequenzen und Kombinationen von Spielfilmelementen mit dokumentarischen Gesten ist für die Regisseurin kennzeichnend. Die Figuren müssen sich erklären und auch die Schauspielerinnen sollen sich in Bezug zu ihren Rollen setzen. Das Sprechen wird damit vielstimmig, aber auch brüchig. Was genau sind OWLs, »Older Wiser Lesbians«? Was können sie in Bezug auf eine Filmgeschichte sein?
Die Zeitzeug*innen sind auch im queeren Dokumentarfilm eine häufig wiederkehrende Figur. Lebensgeschichten und Erfahrungen werden auf diese Weise zum Beispiel in Word Is Out,19 dem ersten langen Dokumentarfilm aus der Perspektive von lesbisch/schwulen/trans* Personen, im Medium Film archiviert, aber auch Filmgeschichte wird so etwa in The Celluloid Closet perspektiviert.20 The Owls zitiert diese Tradition, verneint aber die Möglichkeit eindeutiger Zeugnisse über diese Form des Sprechens. Dunye lässt ihre Schauspieler*innen jeweils sowohl als sie selbst als auch als ihre Figuren sprechen und verdeutlicht über diese Brüche die affektiven Bindungen von Zuschauer*innen an Figuren in narrativen Spielfilmen.
Die Unterbrechung ist eine gegenläufige Bewegung zur Rhythmisierung der Figuren in den Musicalelementen. Hier werden sie aus dem Fluss der Handlung genommen und über Sprechen, Vereinzelung und direkte Adressierung der Kamera an eine außerfilmische Realität gebunden. Dabei funktioniert aber diese Unterbrechung gar nicht so sehr anders als die Unterbrechung im Musical. Im Musical kann über die Nummern, die Störung der realistischen Welt der Narration, das Gefühl aufkommen, dass etwas anders sein könnte, dass die politischen Verhältnisse und Ordnungen, dass die Normen veränderbar sind. Die dokumentarischen Verweise, die Dunye dagegen einbaut, erinnern daran, dass der Film anders sein könnte. Inhaltlich bestätigen dies die Schauspieler*innen. Beide Filme arbeiten an der Transformation der außerfilmischen Wirklichkeit mit ihren Gewaltverhältnissen über die Veränderung und Reflexion von filmischen Erzählungen im Medium selbst.
The Owls stellt die Prekarisierung der Filmgeschichte, des Filmerbes selbst, aus, die für lesbische Figuren lange Zeit nur ein tragisches Ende zur Verfügung gestellt hat. Der Film ist damit eine ästhetische Auseinandersetzung mit über filmische Traditionen erzeugten bzw. weitergegebenen Verletzlichkeiten. Obschon die Figuren im Film gerade über eine Form von Härte und Abgrenzung zueinander gezeichnet sind, ist es möglich, Prekarisierung im Sinne einer hergestellten Verletzlichkeit genau an ihnen zu verstehen. Der Verlust der Beziehungen der Filmfiguren zueinander kann in Bezug auf eine Filmgeschichte als Prekarität gelesen werden. Sie werden in normative Ordnungen eingepasst und damit verfügbar. The Owls aber verweigert diese Form der ästhetischen und affektiven Verfügbarkeit.
In The Owls verschwindet das Kollektiv gleich zu Beginn mit dem Ende des Vorspanns. Übrig bleibt Ernüchterung, und Figuren die – wie auch die Figuren eines New Queer Cinema – eben nicht mehr gefallen wollen. In diesem Film zeigt sich dies aber nicht über einen Bruch mit normativen Lebensentwürfen, sondern genau im Gegenteil, mit der Übernahme vermeintlich gesicherter Positionen, die sich in Eigentum, Rückzug und Familiengründung zeigen. Die Figuren, die sich in diesem Setting nun als lesbische Figuren bewegen, sind wie verhärtet von der Fülle, die nur Oberfläche ist. Der Film erinnert daran, und greift ästhetisch auf, dass die Filmgeschichte weiterhin spukt, dass der Entwurf der vorliegenden Figuren mit den Figurenentwürfen zusammenhängt, die eine Filmgeschichte innerhalb kapitalistisch-patriarchaler Strukturen zur Verfügung stellt. Der optimistischen Übernahme vorgegebener Rollen verwehrt er sich. Für ein Leben und Lieben der Figuren im kapitalistischen System interessiert er sich nicht. Die Angewiesenheit und die Verletzlichkeit der Figuren, die sich so unverletzlich und hart geben, ist hier in der Verortung lesbischer Figuren im Film begründet. Die Unterbrechung, die bei Dyer in den Musicalnummern Alternativen innerhalb der kapitalistischen Ordnung vorstellt, ist hier das dokumentarische Sprechen. Dieses Sprechen und der dokumentarische Gestus machen keine utopischen Räume auf, auch wenn sich darin positive Ideen von Gemeinschaft in der Filmproduktion finden. Dunye und das Parliament Collective nutzen diese dokumentarischen Interventionen als Möglichkeit der Unterbrechung und des Rückbezugs auf Fragen nach der Filmgeschichte und den ihr zugeschriebenen Versprechen.
Die Figur der Gemeinschaft ist für beide von mir vorgestellten Filme von zentraler Bedeutung. Während Folkbildningsterror das Kollektiv inszeniert und damit auch das Medium Film zu einem Ort der Artikulation der Idee einer Bündnispolitik werden lässt, inszeniert The Owls die Figuren ohne die Gemeinschaft und fragt, was die Filmgeschichte für lesbische Figuren anzubieten hat. Der Film verweist auf homonormative Effekte eines filmischen Ankommens in normativen Figurenkonstellationen. Diesem Ankommen widersetzt er sich, nicht über die Reanimation der vorausgestellten Kollektivität, sondern im Entwurf der Figuren und mit einem Verweis auf die Filmgeschichte, die auf rassistische, homophobe und misogyne Weise lesbischen Figuren im Film ihren Platz zugewiesen hat. Hier wird also eine Prekarisierung ausgehend von und in einer Filmgeschichte thematisiert, die medialen Bedingungen werden befragt.
Die Figuration der Gemeinschaft wird in einer affektiven Erinnerung am Anfang des Films aufgerufen, dann aber gegenwärtig verworfen. Im Film ist diese Gemeinschaft auf der Straße, wie in einer Erzählung der LGBTQI+-Bewegungsgeschichte nur eine Figur der Vergangenheit. Trotzdem holt der Film ein Kollektiv durch die Interviews wieder in die Inszenierung hinein. Die Unterbrechungen der Narration sind hier nicht Musicalnummern. Die Interviews bieten Kontextualisierungen, Austausch, Kritik an Formen filmischer Erzählung. Film als Medium bleibt in beiden Fällen, im schwedischen Musical wie im US-amerikanischen Thriller, eine Form von queerer Politik, ein Ort der fortwährenden Aushandlung, nicht aber ein Ort eines Angekommenseins.
Folkbildningsterror ist aktivistische Praxis, in der kollektives Filmemachen dazu genutzt wird, Bilder und Phantasien für gemeinsame Ideen zu entwickeln. Praxis ist hier also die Intervention in normative Bildwelten und Narrative. Die Aktivist*innen werden die Held*innen ihres eigenen Films, unterschiedliche politische Ideen werden verbunden und im öffentlichen Raum inszeniert. Die Stadtguerilla mit all ihren Positionen und Ideen schreibt sich damit filmisch in die Stadt Göteborg und in ein popkulturelles Gedächtnis ein. Wie zum Beispiel auch Born in Flames an real existierende aktivistische Kämpfe erinnert und ihnen eine filmische Form der Artikulation bietet,21 ist auch Folkbildningsterror eine konkrete Form der Sichtbarmachung, Bewahrung und Weitergabe aktivistischer Arbeit und Konzepte. Die filmische Form des Musicals entspricht dem Wunsch seines Protagonisten nach Veränderung und der Hoffnung darauf, dass die politischen Verhältnisse anders sein könnten. Queeres Kino wird in beiden von mir betrachteten Filmen im Kontext aktivistischer, queerer, feministischer Potentiale verstanden: Diese können nicht in einem Eingehen in die normativen Strukturen filmischer Narration enden, sondern müssen im queeren Kino immer wieder kollektiv überarbeitet und unterbrochen werden: In Bezug auf das, was sein könnte und in Bezug auf das, was war.
© bei den Autor*innen
Dieses Werk ist veröffentlicht unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.© 2021 ICI Berlin Press